Von: Nicole Khuon - Büro Anja Hajduk MdB Betreff: Ihr Schreiben zur Vorratsdatenspeicherung Datum: 2015-Aug.-13 12:52:02 MESZ An: "kontakt@hamburg.freifunk.net" Sehr geehrter Herr Krüger, sehr geehrter Herr Schmidt,   vielen Dank für Ihr Schreiben zur Vorratsdatenspeicherung. Von Seiten der Grünen begrüßen wir Ihr Engagement und Ihren Einsatz für kostenlose WLAN-Zugänge.   Die Vorratsdatenspeicherung, also die anlasslose und massenhafte Speicherung von Telekommunikationsverbindungsdaten aller Bürgerinnen und Bürgern auf Vorrat, ist seit Jahren zweifellos die zentrale Frage der Bürgerrechtspolitik. Nicht ohne Grund hatte bereits das Bundesverfassungsgericht die Umsetzung der EU-Richtlinie in deutsches Recht mit unserer Verfassung für nicht vereinbar erklärt und u.a. vor einem diffusen Gefühl des Beobachtetseins gewarnt, das mit der VDS einhergeht. Das Gericht stellte in seinem Urteil deutlich heraus, dass die Streubreite der Maßnahme extrem weit sei und die Vorratsdatenspeicherung tief in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger eingreife. Es mahnte eine „Überwachungsgesamtrechnung“ an und gab den Gesetzgeber die Hausaufgabe auf, eine solche auch hinsichtlich ähnlicher Datenspeicherungen zwingend zu berücksichtigen. Zwischenzeitlich hat auch der Europäische Gerichtshof die bislang von den Befürwortern für die Notwendigkeit einer Neuauflage in Deutschland stets ins Feld geführte Richtlinie als nicht vereinbar mit geltendem EU-Grundrecht und damit für nichtig erklärt. Zurecht, denn die anlasslose Vorratsdatenspeicherung stellt alle Bürgerinnen und Bürger unter einen unseren europäischen Rechtsordnungen unbekannten Generalverdacht. Seit langem verweisen die Gegner der Vorratsdatenspeicherung darauf, dass durch die Speicherung sämtlicher, sehr aussagekräftiger Kommunkationsverbindungsdaten aller Menschen auf staatliche Anweisung höchst risikobehaftete Datenberge angehäuft werden. Gerade die derzeitigen, gravierenden IT-Angriffe auf den Bundestag, das US-amerikanische Regierungsnetz oder auch auf die IT-Sicherheitsfirma Kaspersky haben noch einmal gezeigt, welch Risiken hier bestehen. Als grüne Bundestagsfraktion sagen wir klar: Die Vorratsdatenspeicherung war falsch, ist falsch und bleibt falsch. Aus diesem Grund haben wir in den vergangenen Jahren immer wieder, gegen das Instrument der anlasslosen Massenüberwachung ausgesprochen. Wiederholt haben wir entsprechende Initiativen in den Bundestag eingebracht. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs war zweifellos auch eine Ohrfeige für die deutsche Bundesregierung, die von diesem höchst fragwürdigem Instrument aus der Mottenkiste der Sicherheitspolitik bis heute nicht lassen will. Dass Union und SPD bis heute an diesem höchst umstrittenen Instrument festhalten, ist vor dem Hintergrund, dass auf diesem Weg letztlich auch den Strafverfolgungsbehörden ein Bärendienst erwiesen wird, unverständlich. Statt sich für eine verbesserte personelle und technische Ausstattung der Polizeiarbeit und einer zielgerichtetere Arbeit in Zeiten realer terroristischer Bedrohungen einzusetzen, wird den Strafverfolgungsbehörden ein Instrument an die Hand gereicht, dessen sicherheitspolitischer Nutzen – empirisch nachweisbar – hart gegen Null geht. So erhöht man keine Sicherheit, gefährdet jedoch gleichzeitig massiv Grund- und Freiheitsrechte. In den vergangenen Monaten haben wir die Bundesregierung wiederholt aufgefordert, sich nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs gegen eine etwaige Neuauflage einer entsprechenden Richtlinie in Brüssel einzusetzen. Bundesjustizminister Maas betonte stets, dass es mit ihm, so lange es keine neue Richtlinie gäbe, auch kein neues Gesetz auf nationaler Ebene geben werde. Was dieses Versprechen wert war, sehen wir nun: Das von ihm vorgelegten Gesetz ist ein einziges Geschenk an den Koalitionspartner und seine sicherheitspolitischen Wünsche. Auch die Bundesdatenschutzbeauftragte hat mittlerweile ihre Position in Sachen Vorratsdatenspeicherung revidiert und deutlich gemacht, dass sie nicht glaubt, dass der vorliegende Entwurf die hohen grundrechtlichen Hürden nimmt. Der mehr als durchsichtige Versuch einer Umetikettierung der Vorratsdatenspeicherung in eine Mindest- oder Höchstspeicherfrist ist lächerlich und längst gescheitert, denn auch hier handelt es sich um nichts anderes als eine anlasslose Massenüberwachung der Telekommunikationsverkehrsdaten aller in Deutschland lebenden Menschen und damit um einen massiven Angriff auf Freiheitsrechte. Ob der nun vorgelegte Gesetzesentwurf die hohen juristischen Hürden nimmt, die sowohl Bundesverfassungsgericht als auch Europäischer Gerichtshof aufgezeigt haben, bleibt auch aus unserer Sicht weiterhin mehr als zweifelhaft. So sollen beispielsweise Berufsgeheimnisträger weiterhin nicht aus der Speicherung ausgenommen werden. Auch andere gerichtliche Vorgaben, wie zum Beispiel die des EuGH, der eine Eingrenzung der Maßnahme auf einen bestimmten Personenkreis forderte, bleiben unberücksichtigt. Die vom BVerfG – lange vor den Snowden-Enthüllungen – angemahnte Berücksichtigung anderer Massenspeicherungen in einer „Überwachungsgesamtrechnung“ ignoriert die Bundesregierung auch weiterhin geflissentlich. Die Bundesregierung berücksichtigt ferner nicht ansatzweise, dass es sich bei der Vorratsdatenspeicherung um einen rechtspolitischen Dammbruch handelt. Die Stimmen derjenigen, die, wohlgemerkt noch vor Verabschiedung des Gesetzes, bereits eine Ausweitung der Speicherfristen und des Strafkatalogs fordern, sind heute schon zu vernehmen. Daher ist es auch ein Trugschluss, wenn Bundesinnenminister de Maiziere nun mutmaßt, mit dem vorgelegten Kompromiss sei ein langjähriger Streit beendet. Vielmehr hat die Auseinandersetzung um den Rechtsstaat und den Schutz unserer Bürgerrechte in der digitalen Welt gerade erst begonnen. Als grüne Bundestagsfraktion sagen wir klar: Wir haben, gemeinsam mit vielen Mitstreiterinnen und Mitstreitern, bereits das letzte Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung erfolgreich vor dem Bundesverfassungsgericht zu Fall gebracht und behalten uns explizit vor, erneut gegen dieses zutiefst grundrechtsfeindliche Vorhaben der Großen Koalition vor dem Bundesverfassungsgericht zu klagen. Die grüne Bundestagsfraktion wird sich auch weiterhin für den Erhalt und den Ausbau unserer Bürgerrechte einsetzen.   Mit freundlichen Grüßen Nicole Khuon -- Nicole Khuon Wissenschaftliche Mitarbeiterin anja.hajduk.ma01@bundestag.de   Wahlkreisbüro Anja Hajduk MdB Burchardstr. 21 20095 Hamburg Tel.: 040 30385901   Informationen und Newsletter: www.anja-hajduk.de