Von: Freifunk Hamburg Betreff: Referentenentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Telemediengesetzes Datum: 2015-Apr.-25 21:24:34 MESZ An: juergen.klimke@bundestag.de Sehr geehrter Herr Klimke, vielen Dank für Ihr Antwortschreiben vom 2. April 2015. Dem einleitenden Absatz, in dem Sie aus dem Koalitionsvertrag zitieren, stimmen wir weitgehend zu. Leider wiedersprechen die konkreten Umsetzungen im TMG-E diesem. Wir haben uns im Folgenden Ihren Punkten angenommen. "Nach diesem Entwurf sollen künftig Diensteanbieter, die einen WLAN­ Zugang anlässlich einer geschäftsmäßigen Tätigkeit oder als öffentliche Einrichtung zur Verfügung stellen, dann nicht als Störer auf Unterlassen haften [...]" Daraus folgt eine Ungleichbehandlung zwischen den vorgenannten und privaten Anbietern. Wir sehen keine gewichtigen Gründe dieses zu rechtfertigen. "[...] wenn sie zumutbare Maßnahmen ergriffen haben, um eine Rechtsverletzung durch Dritte zu verhindern.": Dies schafft Rechtsunsicherheit, bei der das eine Gericht entscheidet, dass eine Maßnahme ausreichend und zumutbar ist, während das nächste Gericht anders entscheidet - so wie es bei der derzeitigen Auslegung der Anwendbarkeit einer Störerhaftung auf das Internet auch ist. "Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sie angemessene Sicherungsmaßnahmen, in der Regel durch Verschlüsselung oder vergleichbare Maßnahmen, gegen den unberechtigten Zugriff auf den Internetzugang mittels WLAN durch außenstehende Dritte vorgenommen haben [...]": Zunächst schützt Verschlüsselung des WLANs lediglich die Funkstrecke von wenigen Metern vom Endgerät zum Zugangspunkt - nicht mehr und nicht weniger. Da danach alles unverschlüsselt durch das Netz läuft, wird weder der Anwender noch sonst irgendwer vor irgendetwas geschützt. Auch verhindert dies nicht den Zugriff auf das WLAN, schließlich reden wir in diesem Gesetzesentwurf von offenen WLANs (wieder ein Widerspruch, da offene WLANs per Definition unverschlüsselt auf der Funkstrecke sind; es kann also auch keine unberechtigte Dritte geben - sonst ist das Netz geschlossen). Um das Netz dennoch zu öffnen, muss der Schlüssel also publiziert werden, was die Verschlüsselung - selbst auf diesem kleinen Teilstück der Verbindung - endgültig ad absurdum führt. "[...] der eingewilligt hat, im Rahmen der Nutzung keine Rechtsverletzungen zu begehen.": Es ist schwierig, diesem Satz ohne Schmunzeln zu begegnen. Das ist allenfalls ein Placebo. Auch haben wir in Deutschland kein Gesinnungsstrafrecht - es spielt also keine Rolle, was angekreuzt wurde. "Alle anderen, insbesondere aber private Anbieter, die ihren WLAN-Zugang Dritten zur Verfügung stellen, haften nur dann nicht als Störer auf Unterlassen, wenn sie zusätzlich den Namen des Nutzers kennen.": Wie sollen die Namen der Nutzer erfasst werden? Durch Eingabe in ein Formular? Da kann man auch "Mickey Mouse" eingeben. Oder durch Kopieren des Personalausweises: unzumutbar und datenschutzrechtlich nicht machbar. Selbst angenommen man hätte irgendwie die echten Namen und würde akribisch darüber buchführen, bringen diese nichts ohne eine Vorratsdatenspeicherung - also volles Aufzeichnung aller Verbindungsdaten aller Nutzer. Von dem damit verbundenen erheblichen technischen Aufwand abgesehen, der für kommerzielle Anbieter nur unter erheblichen Kosten und private gar nicht zu bewerkstelligen wäre, bringen die Namen alleine nichts solange man sie nicht den Verbindungen zuordnen kann. Die Vorratsdatenspeichspeicherung widerspricht allerdings Art. 10 GG und wurde vom Bundesverfassungsgericht als Verfassungswidrig und vom EuGH als unzulässig erkannt. "Diese Unterscheidung ist nach Auffassung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion aus Gründen der IT-Sicherheit als auch aus Gründen der Verhinderung anonymer Kriminalität im Internet sinnvoll. [...] Wir schaffen damit unter Einhaltung einfacher, praktikabler und verhältnismäßiger Sicherungspflichten endlich Rechtssicherheit für WLAN-Betreiber, die bisher als sogenannte Störer Gefahr liefen, für rechtswidrige Handlungen ihrer Nutzer im Internet zu haften. Dies ist das Ziel des vorliegenden Referentenentwurfs, mit dem wir nicht nur zu einer weiteren Verbreitung von WLAN-Netzen beitragen, sondern einen Beitrag zur digitalen Teilhabe und zur flächendeckenden Breitbandversorgung leisten.": Die Netzpolitiker Ihrer eigenen Fraktion, und genau genommen die aller im Bundestag vertretenen Fraktionen, sowie diverse Wirtschafts- und Verbraucherverbände teilen diese Einschätzung nicht. Sie haben sich überaus kritisch zu dem Entwurf geäußert: http://freifunkstattangst.de/2015/04/13/nur-kritische-stimmen-bisher-veroeffentlichte-stellungnahmen-zur-geplanten-aenderung-des-telemediengesetzes/ "Denn die Möglichkeit, dass ein Nutzer im geschützten Bereich bzw. in Privaträumen unbemerkt Straftaten wie das Herunterladen von Kinderpornographie oder Urheberrechtsverletzungen begeht, ist erheblich größer als im öffentlichen Raum. Dort muss er stets damit rechnen, vom Diensteanbieter oder anderen Personen beobachtet bzw. entdeckt zu werden.": Es ist überaschend, dass Sie beim Internet offenbar als erstes an Straftaten im Allgemeinen und Kinderpornographie im Speziellen denken. Kern und Angelpunkt des gesamten TMG-E scheint die Annahme zu sein, die Bundesrepublik bestünde aus 82 Millionen Raubkopierern und Straftätern, wenigstens sobald niemand hinguckt. Daraus wird der Schluss gezogen, die Rechtsgüterabwegung müsste dahingehend korrigiert werden, dass angenommene Straftaten und Zivilrechtsverstöße auf Kosten freier Netze und dem freien Zugang zu Informationen zu verhindern sei. Dabei werden Kollateralschäden, wie das Zurückfallen der deutschen Wirtschaft im internationalen Vergleich, billigend in Kauf genommen. Das echte offene Netze zu mehr Missbrauch führten ist ein Argument, was derartig plausibel klingt, dass niemand sich die Mühe macht darüber mal Zahlen zu erheben, um es erhärten. Wir und andere haben es getan. Freifunk Hamburg betreibt 700-800 Zugänge mit derzeit bis zu 1400 gleichzeitig aktiven Endgeräten. Monatlich transferieren wir dutzende Terabytes. Seit Anfang des Jahres betreiben wir ein eigenes Autonomes System, welches in Deutschland terminiert. Missbrauchsmeldungen schlagen also bei uns als Betreiber auf. Wie viel Missbrauchsmeldungen hat es bisher gegeben? Exakt 0. Auch das Medienamt Berlin-Brandenburg führt darüber Statistik. Sie fördern nicht nur die Berliner Freifunker, sondern auch die Berliner Kabel Deutschland Hotspots. Das MABB schreibt: "Ein Missbrauch seitens der Nutzer wurde im Rahmen dieses Projektes nicht festgestellt." Auch sie kritisieren den Entwurf scharf: http://www.mabb.de/files/content/document/Stellungnahmen/mabb_Stellungnahme_BMWi_TMGAendG.pdf Es ist also nicht belegbar, dass offene Netze zu mehr Missbrauch führen. Die Zahlen sagen das Gegenteil. Wir wissen, dass hier um einen komplexen Sachverhalt handelt, der nicht nur gesellschaftliche und wirtschaftliche Verantwortung beinhaltet, sondern auch viel technisches Hintergrundwissen benötigt, um ihn adäquat bewerten zu können. Wir sind diejenigen, die Deutschlandweit mehr als 11.000 freie offene Zugänge betreiben - die das tun wovon andere reden. Gehen Sie auf unsere Argumente ein und nutzen Sie unsere Expertise. Wir sagen Ihnen: Der TMG-E wird exakt das Gegenteil vom öffentlich propagierten Ziel erreichen und freie Netze verhindern. Für Fachberatung stehen wir Ihnen jederzeit gerne zur Verfügung. Wir würden uns sehr über ein persönliches Gespräch freuen. Mit freundlichen Grüßen, Freifunk Hamburg